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Channel: Fidschi – Reisedepeschen
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Am Ende der Welt

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Auf Fidschianisch gibt es 15 Wörter für „Himmel‘, Yasawa ist eins davon. Klar, dass ich diese himmlischen Inseln sehen muss. Die Unterkünfte reichen von einem abgeschiedenen Resort im fernen Norden zu traditionellen Strandhütten – Bure – bis zu einem Homestay. Ich nehme an Kava-Zeremonien teil, gehe zur Schule und (fast) in die Kirche, lerne Dorfbewohner und einen Dorf-Häuptling kennen. Und finde eine Antwort darauf, ob alles wirklich so himmlisch ist, wie es auf den Postkarten aussieht.

Mit dem Privatjet ins Paradies

Das Paradies ist oft dort, wo keiner hinkommt. An Orten, die von öffentlichen Verkehrsmitteln nicht angefahren werden, die zusätzliche Mühe und Kosten verursachen. Orte, an denen wenig touristische Infrastruktur besteht und wo sich Einheimische noch über Besucher freuen, die eher Seltenheit als Norm sind. Meine Reise beginnt auf der nördlichsten der 24 Yasawa-Inseln – einfach Yasawa Island genannt –, 22 Kilometer lang, mit sechs Dörfern, in denen jeweils an die 200 Menschen leben. Die einzige Unterkunftsmöglichkeit dort ist das Yasawa Island Resort & Spa – nicht irgendein klobiger Luxusschuppen, sondern ein Abschnitt am Strand, wo 18 traditionell fidschianische Strand-Bure mit Strohdach und einer zusätzlichen Dusche unter freiem Himmel Südseeträume wahrmachen.

Um Yasawa Island und das Resort zu erreichen, fliegt einmal täglich ein Exklusivjet von Pacific Air in 25 Minuten vom Flughafen Nadi auf der Hauptinsel Viti Levu gen Norden. Ich frage mich, ob Konfuzius diese Strecke flog, als er zu dem genialen Schluss „Der Weg ist das Ziel“ kam. Es geht vorbei an der Bergkette von Viti Levu, in der Ferne schläft der Riese – der „sleeping giant“, eine inselweit bekannte Felsformation mit den Konturen eines Riesengesichts. Dann wird es unten türkis, als es übers Meer und die anderen weißsandigen und bergigen Inselchen hinweggeht.

Der Australier James McCann, Resort-Besitzer, begrüßt Ankömmlinge auf dem Rollfeld, das aus einer langen Wiese zwischen Wäldern besteht und sich im Meer verläuft. Im Resort selbst stehen alle vom Haus- zum Küchenpersonal aufgereiht, mit Gitarre oder Ukulele oder einfach klatschend, und singen zur Begrüßung den Bula-Song, woraufhin man eine Blumengirlande umgehängt bekommt. Egal, wo man auf Fidschi landet, ein herzliches und lautes „Bula!“ ist ständiger Begleiter. Das kleine Wort bedeutet sowohl hallo als auch willkommen und tschüss. Ich denke an den Flughafen von Nadi, als ich aus Australien ankam und Männer in Blumenhemden und Röcken aus voller Kehle für die Ankommenden sangen. Bis dahin hatte ich geglaubt, sowas gäbe es nur im Fernsehen für Tramschiff-Passagiere. Doch Singen gehört zu Fidschi wie Spaghetti zu Italien.

In die geräumige Strand-Bure mit Queen-sized-Bett, einem Badezimmer, das so groß ist wie mein Schlafzimmer daheim und einer Terrasse mit Erster-Reihe-Meeresblick, würde ich am liebsten für immer einziehen, doch noch spannender sind die Menschen, die im Resort arbeiten. Sie stammen nämlich alle aus dem Nachbardorf Bukama oder einem der anderen fünf Inseldörfer und sind meine erste Chance, Menschen von diesem fernen Ende der Welt kennenzulernen.

Von Dorfhäuptlingen und Kokosnussverkäufern

Niemand kann mehr über die Menschen auf Yasawa Island erzählen und wieso der Australier Norman Bolitho, der erste Resort-Besitzer, eine Unterkunft auf der einsamen Insel bauen durfte, als der 66-jährige Manasa Ragigia. Eine wahre Insellegende, geboren im Bukama Dorf nebenan und im Resort engagiert, seit die erste Bure steht. „Als junger Mann arbeitete ich auf einer anderen Insel in einem Hotel“, beginnt er seine Geschichte. „Dort lernte ich Norman kennen. Er war mit seiner Frau auf einem Boot bis nach Yasawa Island hochgefahren und hatte sich in unsere Insel verliebt.“ Manasas Augen glühen, während er mir die Erinnerungen in allen Einzelheiten erzählt. „Norman wollte gern selbst auf Yasawa Island leben, aber das geht nicht so einfach. Der Dorfhäuptling, auf dessen Gebiet etwas entstehen soll, muss zustimmen. Ich habe mit ihm geredet und am Ende hat er zugestimmt.“ Er selbst, Manasa, und seine Freunde hätten mit eigenen Händen eine Hütte für Norman gebaut. „Geld war nicht nötig, wir benutzten das Holz, das wir fanden und Stroh fürs Dach, und Norman richtete sie selber ein.“ Der Australier sei samt Familie gekommen, seine Tochter zur Dorfschule gegangen. Bei einem Segelturn um die Insel habe er dann einen unberührten Traumstrand entdeckt. Damals bestand noch keine einzige Touristenunterkunft auf der Insel, und so kam Norman eine Idee: Er wollte etwas für die Dorfgemeinschaft tun, ein Business starten, und sein gefundenes Paradies gleichzeitig mit anderen Besuchern teilen – ein Resort sollte her. „Zuerst waren die Dorfbewohner dagegen. Ich habe lange auf den Häuptling eingeredet, damit der die Dörfler umstimmte. Letzten Endes wurde ein Pachtvertrag für 99 Jahre unterzeichnet, auch dem Dorf Bukama kommt ein Teil davon zugute.“

Und heute? Ich spreche mit einigen der Menschen, die im Resort arbeiten, stets ein Lächeln und ein Bula auf den Lippen. Vielleicht täusche ich mich, aber beide wirken zu echt, um nur Schau für die kleine Anzahl der sich zwischen Bure, Strand und Natur verlaufenden Besucher zu sein. Die junge Aralai arbeitet erst seit einem Monat als Kellnerin dort, stammt aus dem nördlichsten Dorf Yasawa i RaRa. „Wenn ich laufen würde, wären es zwei Stunden bis hierher, aber ich wohne die Woche über im Nachbardorf Bukama, da werden wir jeden Morgen abgeholt.“ Autos gibt es auf Yasawa Island, wie auf allen Yasawa-Inseln, nicht, nur das Resort besitzt ein paar Minibusse, um Besucher zum Flugstreifen oder Mitarbeiter zur Arbeit zu bringen. „Wenn ich nicht hier arbeiten könnte, müsste ich nach Viti Levu ziehen, wie meine Schwester. Aber ich bleibe lieber hier.“

Semaema Bati, das Zimmermädchen, ist schon seit 20 Jahren dabei. Wie viele Frauen auf Fidschi trägt sie eine Blume hinterm rechten Ohr – das bedeute, sie sei verheiratet. Wer die Blume links trägt, ist dagegen noch zu haben. „Früher haben wir Kokosnüsse geschnitten und verkauft“, erzählt sie mir. Da es bis nach Viti Levu etwa vier Stunden per Boot seien, würden sie und ihre Familie all ihr Gemüse selbst anbauen. „Wir verkaufen auch Hühner, Würste und Fisch.“ Das Resort sei ein guter Abnehmer für frischen Fisch. Yasawa Island wird für mich zu einem der wenigen Orte auf meinen Reisen, wo ich das Gefühl habe, dass Tourismus und traditionelles Leben noch harmonisieren.

„Bei Ebbe kann ich von meinem Dorf zur Arbeit rüber laufen“, erzählt mir Nick, ein Bootsführer, als er mich zu Paula’s Beach für ein Privatpicknick bringt. Eins der exklusiven Angebote, die Gäste des Yasawa Isand Resorts genießen. Der geflochtene Picknickkorb ist vollgepackt mit Vor-, Haupt- und Nachspeise, der Sonnenschirm wird ins Boot gereicht, Nick klemmt sich die große Bastdecke untern Arm. Ich frage, wieso der Strand Paula heiße. „Paula ist die Besitzerin. Das Resort muss ihr Miete zahlen, damit Besucher den Strand benutzen dürfen.“ Da stehe ich an einem menschenleeren Strand von gut einem Kilometer und beneide die unbekannte Paula. Nick will mich in drei Stunden wieder abholen, bevor er um 17 Uhr Feierabend hat – sollte er es vergessen, wäre es mir auch egal. Selbst die dicken Wolken, die der Sonne an diesem Tag verbieten, das Paradies-Feeling zu perfektionieren, können meiner Begeisterung keinen Abbruch tun. Kein Wunder, dass Tom Hanks ausgerechnet auf eine fidschianische Insel gesetzt wurde, um ‚Cast Away‘ zu drehen – etwas weiter südlich, auf die Mamanuca-Insel Monuriki.

Die ganze Nacht über donnert und blitzt es, doch am Morgen scheinen die dicken Wolken vom Vortag wie aus einem schlechten Traum. Die Sonne malt Strand, Meer und Hügel kraftvoll aus – mehr Südsee geht nicht, genauso kitschig schön habe ich es mir vorgestellt. Bei einem Spaziergang durch das Nachbardorf Bukama lerne ich Tima kennen, die gerade vor ihrem Haus Wäsche aufhängt. Sie erzählt mir von ihrem Mann und ihren drei Kindern und dass sie bis zur Geburt selbst im Resort gearbeitet habe. Wie wohl jeder Zweite in Bukama. Sie möchte wissen, woher ich komme, was ich hier mache. Sie würde mir gern die Schule zeigen, aber die Kinder, etwa 130 bis 150, seien gerade in Ferien. „Meine auch, das ist die Hölle! Nur am rumrennen die kleinen Racker.“ Sie deutet auf einen etwa Sechsjährigen, der hinter der weiß getünchten Kirche mit türkisem Dach verschwindet. „Aber ich will mich nicht beschweren, wenn sie die High School anfangen, müssen sie nach Viti Levu fahren, hier haben wir nur eine Grundschule.“

Eigentlich gäbe es unendlich viel zu tun. Schnorcheln, Tauchen, eine Tour zur Blauen Lagune weiter südlich unternehmen und unendlich viel essen, alles von frischem Fisch bis zu frischem Gemüse. Aber schon bald verfalle ich in den Nichts-tun-Modus. Genieße, dass das WiFi nicht ganz so gut und nur im Restaurant funktioniert. Und ich denke an James‘ Worte: „Die Leute aus der Stadt wissen oft gar nicht mehr, wie das Nichtstun geht. Sie kommen voller Pläne an, wollen allen möglichen Aktivitäten nachgehen, aber nach zwei Tagen wollen sie gar nichts mehr. Dann sehe ich in ihren Gesichtern, dass sie angekommen sind.“

Island-Hoppen in der Südsee

Um die anderen Yasawa-Inseln zu erreichen, nimmt man die einzige Fähre, den Yasawa-Flyer, der jeden Morgen vom Hafen in Nadi aufbricht und bis zur Insel Nacula südlich von Yasawa Island fährt sowie von dort am Nachmittag zurück. Nach der exklusiven Abgeschiedenheit von Yasawa Island erleide ich zunächst einen Schock, als ich mich zwischen Hunderte von etwa 18- bis 29-jährige auf das Boot quetsche. Niemals hätte ich erwartet, auf den fernen Yasawa-Inseln auf einem Backpacker-Highway der Südsee zu landen. Doch der erste Schreck verfliegt, als an jedem Stopp Leute aussteigen und sich doch ganz gut über die Inseln verteilen. Damit man raus darf, muss vorher schon eine Unterkunft auf der Insel gebucht sein. Die gibt es teils als Package zusammen mit dem Flyer-Ticket, alles von Luxusschuppen bis zu hostelartigen Absteigen mit Schlafsälen, wo manchmal sogar Bettwanzen lauern, wie sich auf der Fähre rumspricht.

Das Meer wird blau und blauer, als es an der Inselgruppe Mamanuca vorbei geht – winzige Eilande, die wenig mehr als Haufen Sand im Meer sind – zu den Yasawa-Inseln, voller grün bewachsener Felsen, die spitz in den Himmel stechen. Ich habe mir Wayasewa Island und die Naqalia Lodge ausgesucht. Und bin zunächst enttäuscht, denn nach den Traumstränden auf Yasawa Island ist der kleine Strand voller Seegras und anderem, was das Meer angespült hat, eine Ernüchterung. Was man doch für Probleme hat, wenn man im Paradies unterwegs ist! Die familiengeführte Lodge besteht aus vier Bure, meine ist mit Bildern und traditionellen Mustern an den Balken verziert. Beim Essen – Restaurants gibt es auf den Inseln nicht, also wird dann in der Lodge gegessen, wenn es eben Essen gibt – sitzen alle Besucher zusammen. Ein paar Zwanzigjährige und ich.

Nach dem Mittagessen bringen mich zwei Männer und die Tochter des einen zu einem Strand, wo man bei Ebbe auf die nächste Insel, Waya, rüber laufen kann. In ein paar Stunden wollen sie mich wieder abholen. Wieder stehe ich allein an einem Strand, dahinter zerfallene Häuser. Siesta-Zeit.

Doch plötzlich springen vier Hunde um mich herum, ich vernehme eine Männerstimme. Der Mann, den ich auf Ende 30 schätze, stellt sich als Di vor, kurz für Dimoro, und lädt mich auf einen Kaffee ein. Wohin? In eine der Baracken hinter mir. Das kleine Mädchen in mir erinnert sich daran, dass man eigentlich nicht mit fremden Männern mitgeht, aber ich schlage alle Zweifel in den Wind, lasse mich von der Gastfreundlichkeit des Fidschianers einlullen. „Ich hatte hier ein B&B, aber es wurde von einem Zyklon zerstört, wie alle Häuser. Jetzt baue ich es wieder auf.“ Dimoros Haus besteht aus Holzbalken im Sand, die ein Dach oben halten, aus einem Bett unterm Mückennetz und einem Tisch – mit einem unschlagbaren Fünf-Sterne-Blick über Strand und saftig grüne Südseehügel hinterm tiefblauen Meer.

„Eigentlich komme ich aus Viti Levu und bin Ingenieur, aber seit fünf Jahren lebe ich hier. Manchmal ist es ein bisschen einsam, aber den Lärm der Stadt vermisse ich nicht. Wenn die Stille zu viel wird, höre ich einfach Musik, lese und mache abends ein Lagerfeuer und leckeres Fidschi-Essen. Fiji-Time!“ Di lacht. Immer wieder höre ich „Fiji-Time“. Das Synonym für Entspannung, für die Uhr weglegen, für Stress abschütteln, für Leben. Ich schaue Di zu, wie er den Kaffee eingießt und mir frisch gebackenes Kokosbrot mit Marmelade vorsetzt, das innen noch nicht ganz gar ist. Nach dem überraschenden Nachmittagssnack bin ich nachdenklich. Denke noch lange an Di und seine Hunde. Wenn der Zyklon noch mal über Yasawa hinwegfegt, haben sie nur ihr Leben zu retten, nichts Materielles, was sie irgendwie festhält, belastet, verlangsamt. Ob es das ist, was Di meinte, als er von der „großen Freiheit“ sprach, die er gefunden hat?

Mein erstes Mal

Auf Wayasewa erlebe ich mehrere erste Male. Das erste Mal, das ich zum Sonnenuntergang auf einen unmöglich steilen Felsen hinaufkraxele, der selbst manch leichtfüßige Katze überfordern würde. Doch was tut man nicht alles für den Weitblick über die gesamte Insel bis zu den Nachbarinseln, während die Sonne feuerrot im Südpazifik versinkt?

Und nach viel Gesang und einem weiteren Bula-Willkommenssong nach dem Abendessen ist es mein erstes Mal, dass ich das Nationalgetränk, Kava, probiere. Ein Getränk aus Rauschpfeffer, das bei übermäßigem Konsum leicht narkotisierend wirkt. Das Ganze läuft nach strengen Regeln ab: Ein Teppich wird ausgebreitet, dann kommt ein großer Topf hervor, in dem das Getränk zubereitet wird, aus Kava-Wurzeln oder bereits fertigem Pulver und mit Wasser verdünnt. Ist alles fertig, klatscht man einmal in die Hände, nimmt eine kleine Schale Kava entgegen, ruft laut „Bula!“, trinkt, gibt die Schale zurück und klatscht noch drei Mal. Wer mag, hängt noch ein „Vinaka“ – danke – hintendran. Besucher, die noch Lust und Energie haben, sitzen mit den Lodge-Mitarbeitern und dem wilden Welpen Blackie zusammen, wir singen und spielen. Zum Beispiel Obstnamen aufsagen, ohne dabei die Zähne zu zeigen. Es klappt, Kava sei Dank!

„Wir haben etwa 300 verschiedene Dialekte in Fidschi“, erzählt mir die junge Ody. Auch auf den Yasawa-Inseln gebe es einen eigenen Dialekt. „Die Kinder lernen Englisch erst in der Schule – dort findet der Unterricht nur auf Englisch statt, und wer Fidschianisch spricht, wird bestraft.“ Kein Wunder, dass bei so viel Stress, welcher der Idee von Fiji-Time vollkommen zuwiderläuft, viele Fidschianer des Englischen noch immer nicht wirklich mächtig sind.

Am nächsten Tag sehe ich beim Schnorcheln unter mir erstmals einen kleinen Hai schwimmen – aber einen von der Sorte, der nicht gern Menschenfleisch abnagt. Und dann, kurz vor Sonnenuntergang, gehe ich mit Emily und ihrer Fischer-Crew zum ersten Mal in meinem Leben fischen. Bekomme eine Schnur, die ich so weit ins Wasser ablasse, bis der Köder den Boden berührt. Dann sitzen wir still da, die Schnur über einen Finger gespannt, damit man merkt, wenn etwas zieht. Und es zieht, sehr oft. Begeistert hole ich die Schnur jedes Mal ein, nur um zu sehen, dass der Köder weg ist. Und doch – zwei Mal zerre ich ein schillerndes Fischlein aus den Tiefen des Meeres und bin stolz wie Bolle. Auf einmal kommt ein Boot auf uns zu, mehrere Männer meckern. Angeblich würden wir gerade in einem Schutzgebiet fischen, erklärt Emily und zuckt mit den Schultern. Ein paar Meter weiter wird die Schnur wieder ins Wasser gelassen.

Nach diesem aufregenden Tag liege ich nachts in der Hängematte unterm Sternenhimmel, als sich der Handlanger Tonga zu mir gesellt. „Hängematten sind super, ich schlafe immer in der da hinten“, deutet er auf eine Hängematte ein paar Bäume weiter. Er lässt sich unaufgefordert neben mir nieder, schaut mit mir hoch ins Sternenzelt. „Weißt du, dass die ganz dicken Sterne da oben böse Geister sind?“ Wusste ich noch nicht. „Wenn du sie lange genug anschaust, wirst du sehen, dass sie Angst bekommen und verschwinden.“ Tonga macht es mir immer wieder vor, doch bei mir will es nicht so richtig klappen. Vielleicht muss ich noch ein bisschen das Böse-Geister-Vertreiben üben, genau wie die Sache mit der Fiji-Time.

Save the best for last: Bei Fidschianern zu Hause

Nach Wayasewa bleibt mir eine letzte Insel – obwohl ich am liebsten an jedem Halt des Yasawa-Flyers in einem der tropischen Paradiese anhalten und dort Zeit verbringen würde – Nacula Island, gesprochen Nawula, die nördlichste Insel, die der Flyer anläuft. Dort habe ich keine der üblichen Lodges gebucht, sondern einen Homestay – Taven Homestay. Erst auf dem Boot lese ich, dass ich eigentlich eine Kava-Wurzel als Geschenk für den Dorfhäuptling mitbringen sollte. Ach du Scheiße! Ich sehe mich schon mit leeren Händen und blamiert vor der Dorfgemeinschaft stehen und gleich bei allen unten durch sein. Da hilft nur ein verzweifelter Appel an Fiji-Time.

Im Norden angekommen, holt mich ein Schlauchboot vom Flyer ab. Darin sitzt Bill, mein Gastvater. Er grinst fast zahnlos, seine Augen strahlen noch mehr. „Bula!“ Am Strand wartet sein neunjähriger Sohn Rami mit einer Schubkarre, in die mein Rucksack verfrachtet wird, dann geht’s am Meer entlang zum kleinen Haus der Familie – und zu meiner winzigen Strandbure. Noch kann ich nicht mit dem Finger darauf tippen, was genau es ist, aber ich fühle mich zum ersten Mal auf den Yasaway-Inseln auf Anhieb angekommen. Vielleicht liegt es an Salome, meiner 49-jährigen Gastmutter, in der ich vom ersten Moment an etwas von mir wiedererkenne. In ihrem Traum, sich etwas aufzubauen und dem unbeugsamen Willen, diesen Traum in Greifbares zu verwandeln.

„Ich habe hier 2009 mit einem Teashop begonnen“, berichtet Salome, während sie mir einen riesigen Teller mit Fisch und Cassava, der Fidschi-Kartoffel, vorsetzt. Das Haus liegt direkt neben einer Touristen-Lodge, und Salome wollte den Besuchern nachmittags die Möglichkeit bieten, für Kaffee und Kuchen vorbeizukommen. „Bill war dagegen, aber ich machte es trotzdem. Ich webte viel, verkaufte die Sachen und bekam so etwas extra Geld.“ Hauptberuflich ist Salome nämlich Vorschullehrerin des kleinen Dorfes Naisisili hinterm Haus. Der Teashop schaffte es bis in den Lonely Planet. „Letztes Jahr kam mir die Idee, einen Homestay aufzumachen und dafür eine kleine Gäste-Bure zu bauen. Bill war wieder dagegen.“ Ich spreche ihr meine Bewunderung aus, doch Salome winkt ab. „Das bin nicht ich, das ist alles Gottes Werk!“

Von den drei Kindern des Ehepaares sind nur der kleine Rami und der 26-jährige Tusi zu Hause, der sich weigert, zu heiraten. „Ich will frei bleiben“, erzählt er mir später, und dass er kein Problem damit habe, auf der abgeschiedenen Insel Nacula mit seinen Eltern zu leben. „Auf Viti Levu müsste ich für mein Essen Geld verdienen, hier gibt es mir die Erde umsonst.“ Und aus Dankbarkeit dafür wird vor jedem Essen gebetet. Mal übernimmt Salome das Gebet, dann Bill, dann bin ich an der Reihe. Rami und seine Freunde genießen ihren letzten Ferientag, denn am nächsten Morgen geht es zurück ins Internat in Nacula Village, dem größten Inseldorf an der Westseite. „Es wäre zu weit, jeden Tag zu laufen, deswegen wohnen die Kinder dort und kommen nur am Wochenende nach Hause“, erklärt mir Salome. In Nacula Village gebe es auch einen Arzt, aber für Fachärzte wie einen Zahnarzt müsse man nach Veti Levu fahren – was man nur bei starken Zahnschmerzen tue.

Abends liege ich zusammen mit Salome in der Hängematte, wir sprechen wie alte Freundinnen. Über Gott und die Welt. Wie die meisten Fidschianer ist die Familie methodistisch und geht mindestens jeden Sonntagmorgen in die Kirche, manchmal auch unter der Woche abends um sechs. „Wir verdanken Gott alles, er ist immer für uns da“, weiß Salome. „Und er schickt mir immer die richtigen Leute.“ Dabei sieht sie mich liebevoll an. Da es ab achtzehn Uhr dunkel ist und nach dem Essen nichts mehr zu tun gibt, liege ich früh im Bett in meiner Bure, die an ein Puppenhaus erinnert. Jedes Detail steckt voller Tradition, von der mit typischem Muster verzierten Plane an der Decke bis zu der handgewebten Matte auf dem Fußboden. Nur ein paar Weihnachtsbaumkugeln, die von der Decke baumeln, wollen nicht ganz dazu passen.

Fiji-Time

Ganz am Ende meiner Zeit auf den Yasawa-Inseln kapiere ich sie doch noch, die Fiji-Time. Zeit spielt keine Rolle, ich wache mit den Wellen und der durchs Fenster scheinenden Sonne auf und frühstücke, wenn das Frühstück fertig ist. Oft kocht Tusi morgens, doch einmal zaubert Salome mir typische Cassava-Kuchen.

Nach einem Ausflug zu den berühmten Sawa-I-Lau-Höhlen, bei denen uns das Meer im kleinen Motorboot fast verschlingt, wartet von Tusi frisch geangelter Fisch auf mich, wieder mit Cassava und Gemüse. Dabei bin ich so aufgeregt, dass ich kaum einen Bissen runterbekomme – am Nachmittag will mich Tusi mit ins Dorf nehmen und dem Häuptling vorstellen. Laut Bill ist es kein Problem, dass ich keine Kava-Wurzel mitgebracht habe, 10 Fiji-Dollar werden als Mitbringsel für die Dorfgemeinschaft ausreichen.

Eigentlich soll es direkt nach dem Mittagessen losgehen, aber Salome muss mit Rami mit dem Boot zur Schule fahren und Tusi ist verschwunden. Hängematten-Zeit. Fiji-Time. Nach ein paar Minuten liege ich nicht mehr allein darin, sondern mit zwei Mädels, den Nachbarskindern, die noch zu klein sind, um ins Internet zu gehen. Seta und Nelly. Sie sprechen kein Wort Englisch, doch das ist auch nicht nötig, um uns gegenseitig mit Blumen zu schmücken und immer wieder unsere Vornamen zu wiederholen. Und irgendwann ist es doch soweit – Tusi bringt mich ins Dorf. Da Shorts verpönt sind, binde ich mir mein Strandtuch um die Hüfte – einen langen Rock habe ich nicht, und lange Hosen schicken sich für Frauen nicht.

„Unser Chief ist letztes Jahr gestorben“, erzählt Tusi, „der neue ist dessen Cousin.“ Normalerweise wäre jedoch der älteste Sohn Nachfolger. „Viele Leute im Dorf haben noch kein fließendes Wasser, und Elektrizität gibt es nur dank Sonnenenergie.“ Alle Häuser im Dorf sind einfache Holzhäuser, Wäsche hängt zum Trocknen zwischen Bäumen. Und dann der große Moment: Wir nähern uns dem Haus des Häuptlings. In meiner Fantasie ist er ein mächtiger Mann, der gekrönt auf seinem Thron sitzt, umgeben von Gold. Umso größer die Ernüchterung, als sich ein bierbäuchiger, schwitzender Mann mit freiem Oberkörper zu mir umdreht, der gerade Holz hinter seinem Haus abfackelt. Der Chief von Naisisili. Für mein Foto streift er sich immerhin ein Hemd über. Er hat genauso viele Zähne wie Bill, aber immerhin heißt er mich im Dorf willkommen. Jetzt darf ich nach Lust und Laune ein- und ausgehen. Unterwegs rufen mir Kinder und Erwachsene „Bula“ zu. „Das hier war ursprünglich unser Haus, aber es wurde abgefackelt“, zeigt Tusi auf ein Haus-Skelett mitten im Dorf.

„Ich kann kaum darüber sprechen“, greift Salome die Sache mit dem Haus auf, als wir später zusammensitzen. Es sei geschehen, als sie mit dem Teashop begonnen habe. „Er war gerade soweit, dass wir starten konnten, da brannte unser Haus im Dorf nieder.“ Ich kann es kaum glauben, haben mir doch bisher immer alle vom großen Zusammenhalt von Fidschis Dorfgemeinden erzählt. Auch Salome selbst. War es Brandstiftung? Sie zuckt traurig mit den Schultern. Genau werde sie es nie wissen, wolle auch nicht mehr darüber nachdenken. Sie danke Gott dafür, dass der Teashop rechtzeitig fertig geworden sei, sodass sie dort erstmal einziehen konnten. Trotzdem sei es der schwerste Moment seit ihrer Ankunft auf Nacula gewesen, denn ursprünglich stamme sie von einer kleinen Insel südlich der Hauptstadt Suva. „Auf Fidschi zieht eine Frau immer auf die Insel ihres Ehemannes, der Mann bleibt fest verwurzelt.“ Sie habe sich unbedingt etwas zu tun suchen müssen, Projekte. „Nun möchte ich eine zweite Bure bauen, aber Bill ist dagegen.“ Bald ertönen laute Schnarchgeräusche von der Matratze am Boden, auf der Bill schläft. „Das geht mir so auf die Nerven, diese Schnarcherei!“, beschwert sich Salome. Ein Leid, das mir allzu bekannt ist. Kurzerhand hole ich meine Dose Ohropax hervor und schenke ihr ein Paar, das sie misstrauisch beäugt. Vielleicht wolle sie es zuerst einmal mit einem probieren.

Am nächsten Morgen, als die Schule beginnt, gehe ich mit Salome in die Vorschule im Dorf. Sie singt und spielt mit den Kindern, auch Nelly und Seta sind dabei. „Nelly Furtado“, stellt sich mir die kleine Nelly erneut vor und will auf den Arm. An der Wand hängen Bilder von Obst und die englischen Begriffe darunter, die ich ihr langsam vorlese.

Auf dem Rückweg gehe ich mit Salome am Dorfladen vorbei – der ein stinknormales Haus ist, in dessen Innerem die Bewohner einen Schrank voller Lebensmittel haben. Salome kauft ein paar Eier – aber nicht mehr lange, denn sie will auch ihre eigenen Hühner halten.

Später möchte mich Bill mit zur Kirche nehmen, doch ich kann unmöglich eingewickelt in mein Strandlaken dorthin gehen. Kurzerhand zieht Salome eins ihrer schicksten Outfits aus der Truhe, ein orangenes Ensemble, wohl 100% Polyester, denn mir bricht sogleich der Schweiß aus. Mit Bill im lila Shirt, mit grüner Krawatte und blauem Rock, mache ich mich auf den Weg, freue mich wie verrückt auf die methodistische Messe. Dann stehen wir vorm vollkommen leeren Kirchengebäude. „Heute nicht, die Männer sind oben auf dem Berg und brennen das Gras runter“, ruft uns ein Nachbar zu. Enttäuscht lässt Bill die Bibel sinken. Fiji-Time halt. Wenn das Gras weg muss, muss Gott warten.

Es fällt mir schwer, Salome und meine kleine Bure zu verlassen. Weil mir Nacula Island ans Herz gewachsen ist. Nicht nur wegen des traumhaften Strandes von Blue Lagoon auf der anderen Inselseite, wo ich mich gern in der Sonne geaalt habe. Auch nicht wegen der Höhlen, die Touristenbroschüren groß anpreisen. Nein, ich habe am anderen Ende der Welt eine kleine Familie gefunden, bei der ich mich geborgen fühle. Und ich komme zu einem Schluss: „Himmel“ ist kein schlechter Name für die Yasawa-Inseln. Sie haben viel Himmlisches. Die Strände. Auto-Freiheit. Grüne Berge. Viele Bulas und viele lachende Gesichter und viel Kava und Musik. Stille. Unberührtheit, trotz der mittlerweile vielen Touristen. Aber nein, ein vollkommener Himmel auf Erden sind sie nicht. Letzten Endes sind sie ganz normale Orte mit Menschen, bei denen auch mal das Haus brennt. Die kämpfen und verlieren und gewinnen und nie stillstehen, wenn sie vorankommen wollen. Und die auch Ohropax brauchen, um nachts neben einem schnarchenden Bill Ruhe zu finden.

Fotos 1,2 und 13 wurden freundlicherweise vom Yasawa Island Resort & Spa zur Verfügung gestellt.

Der Beitrag Am Ende der Welt erschien zuerst auf Reisedepeschen.


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